Der Lahme und der Blinde…hintergründiges zur Überwachungsdebatte im Speziellen und Politik im Allgemeinen

Ein Blinder und ein Lahmer werden dazu verdingt, einen Obstgarten zu bewachen. Sagt der Lahme: „Ich sehe da gute, reife Früchte, welche wir pflücken könnten, nimmst du mich Huckepack.

Am nächsten Tag kommt der Gartenbesitzer zurück und erkennt, dass die wenigen guten und reifen Früchte alle verschwunden sind.

Der Lahme wehrt sich und verweist darauf, dass er diese Früchte ja schlecht pflücken könne. Der Blinde fragt scheinheilig: „Welche Früchte?“

Da setzt der Gutsherr den Lahmen auf den Blinden und verprügelt sie beide.

Man sollte nicht annehmen, dass die Kontroll- und Gewaltillusionen, des normalen Systemtrottels in den Maximen der Herrschaft nicht ihren Niederschlag fänden.

„Der Pfad der Gerechten ist auf beiden Seiten gesäumt mit Freveleien der Selbstsüchtigen und der Tyrannei böser Männer.“


Mir war die Bedeutung nicht sofort ersichtlich, woraufhin der Autor, Kurt Kowalsky, für mich persönlich eine Interpretationshilfe verfasst hat:
Jedenfalls verfällt die libertäre Szene gerne dem Aberglauben, dass über das Volk die sozialistische Diktatur hereinbricht, wie über die langhaarige Blondine der kreisrunde Haarausfall.

Schlagt doch die Lahmen nicht, sie sind nicht am Regierungshandeln beteiligt, verzeiht den Blinden, welche die Gefahren des aufkommenden Faschismus nicht sehen.

Das ist die falsche Perspektive. Hinz und Kunz sind nicht zu lahm, geht es darum, geistig minderbemittelt das faule Händchen zu heben, um den Herrschern ihre Zustimmung zu signalisieren. Und sie sehen schon, dass man mit viel Polizei, viel Geheimdienst, viel erreicht. Sie wünschen sich geradezu, dass jeder – außer sie selbst – möglichst lückenlos überwacht, im Zweifel durchsucht, verhaftet, eingesperrt und aufgehangen wird.

Natürlich haben sie an der Politik etwas auszusetzen. Doch insgesamt betrachten sie die herrschende Ordnung als geradezu paradiesischen Zustand. In dieser Ambivalenz, scheißt dann eben Adam die Eva beim „lieben Gott“ an, weil sie es ja war, die den Apfel geklaut hat. Was kann er dafür, er hat ihn nur gegessen.

Bekannterweise sind dann beide aus dem Paradies geflogen. Gelernt haben sie daraus nichts. Juden, Christen und Muslim haben sich geradezu darin übertroffen, ihren Kindern zu lehren, dass Gottes Ratschluss unergründlich wäre. Und sie haben allesamt vergessen zu bemerken, dass dies lediglich die Systematik von Willkürherrschaft ist.

Zunehmend wurde nun der theologische Glaube mit dem Aberglauben des Demokratismus substituiert. Während das Gebet sich irgendwo gedanklich verlor, hat die politische Forderung einen konkreten Adressaten. „Du Herrscher, sorge gefälligst für Ordnung, sonst wähle ich dich nicht mehr.“

Dass dieser Kontroll- Überwachungs- und Ordnungswahn im Selbstverständnis des Staatsapparates liegt, bleibt Hinz und Kunz verborgen. Wird da der eigene Nachbar zwangsweise in den Viehwaggon verfrachtet, sagt man zum Abschied leise servus. Und etwas lauter meint man, dieser Typ wäre ja nicht ohne Grund abgeführt worden.

Faschistoide Tendenzen werden nur von den Betroffenen als solche erlebt und von denen, welche sich etwas Ordnung zwischen den eigenen Ohren verschafft haben. Die anderen erleben Faschismus als Antifaschismus. Bemängeln eventuell den Grad einer Maßnahme, stimmen jedoch dem Grunde nach mit den herrschenden Gewaltverbrecher überein.

Das könnte man sehen, doch das will man nicht sehen, sprich erkennen. Die angeblich Blinden und Lahmen entscheiden sich jeden Tag neu, ein guter Systemtrottel zu sein und damit entscheiden sie sich eben auch für den Überwachungsstaat und irgendwann wieder für die Viehwaggons. So what?


Eine Dame wandte ein:
Übrigens, „du sollst nicht töten“ klingt im Dekalog wie eine Mahnung. Für Staatsapparate wär’s eine Entdeckung.

Die Antwort will ich nicht vorenthalten:
Ja, das klingt ja so nach guter, alter Zeit. Dieser apodiktische Rechtssatz hat im Dekalog eine untergeordnete Stellung.

Davor kommen so Sätze wie: „Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen und an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.

Empirisch lässt sich für die Zeit danach feststellen, dass dieser eifersüchtige Gott kein Gemetzel ausgelassen hat. Klar doch, entweder man ist allmächtig und ewig und allwissend oder man ist eifersüchtig und rachsüchtig, sprich: unwürdig und unfähig, Probleme anders zu bewältigen als mit Tötung.

Wie alle derartigen apodiktischen Setzungen sind sie ein lächerlicher Versuch vorhandene ethische Normen aufzugreifen und gleichzeitig eigene Herrschaftsansprüche zu begründen.

Auch hier muss man sich im oben erwähnten Sinn fragen, wer denn tötet. Kommt es über Hinz und Kunz, wie der Fußpilz im Schwimmbad? Eher selten. Die Regel ist jedoch die undifferenzierte Gefolgschaft und Unterordnung unter die jeweiligen Herrscher und damit in Folge die Möglichkeit der massenhaften Verhetzung, des Informationsverzichts, des Krieges und des Gemetzels.

Im Rückblick spielt man dann aber wieder den Lahmen und Blinden, zeigt nach oben und weist jede Verantwortung von sich.

Wohlgemerkt, nicht die Tötung haben diese Säcke zu verantworten, sondern die Gefolgschaft.

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